Am siebenundzanzigsten achten zweitausenelf soll es also losgehen. Un das tut es auch; schnell noch dem Bruder einen Umschlag mit Dankeschön in die Hand gedrückt, den Eltern tschüss gesagt und beinahe zu spät ins Terminal gekommen... Wenn man bis um drei Wein trinkt und um sechs aufsteht ist das halt so. Hinein in den Flieger, Platz gefunden, rausgeguckt und angeschnallt. Spannung pur, was erwartet mich und was erwarte ich? Man weiß es nicht. Ich weiß es nicht. Zwischenstop in Riga, sieben Stunden Aufenthalt. Was tun? Ich schultere mein Handgepäck und mache mich auf den Weg in die baltische Hauptstadt, ein Land entfernt von meinem Ziel. Die historische Altstadt wird beschaut und die Bremer Stadtmusikanten werden entdeckt. Das ganze dauert eineinhalb Stunden, und so fix wie ich reinfuhr fuhr ich aus der Stadt wieder raus. Eingecheckt und hingesetzt. Alles einsteigen, nach langem Warten geht es weiter und wir heben ab. Am Zielflughafen weiß ich nicht wohin, alles ist klein und nicht ausgeschildert und ich kann die Sprache nicht. Also lasse ich mich für fünf Euros zum Busbahnhof fahren, war nicht nötig und viel zu teuer. Bald habe ich auch ein Ticket für den Bus, der mich zur heutigen Ziel-und Endhaltestelle fahren soll. Zweieinhalb Stunden später bin ich auch da, nach viel hin und her mit meiner Tutorin, die ich ob plötzlichen hamburgischen Handyverlustes nicht erreichen konnte und die ich also verpasse. Den Weg zum Studentenwohnheim finde ich auf Anhieb mit nur einmal nachfragen und werde gespannt erwartet, von meiner Zimmermibewo Svenja die sich sofort über mein weniges Gepäck wundert. Nach einigen offiziellen Wegen bin ich auch endlich angekommen im Wohnheim und weiß sogar die Namen aller fünf Mitbewohnerinnen. Auch, dass ich mich schwertu mit Kontakteknüpfen, aber das weiß ich sowieso. Zum wiederholten Male wirft sich mir also die Realisierung dessen ins Gesicht. Nun denn. Nach einigen durchzechten Nächten also sitzen wir auf dem Flur des Wohnheimes und ich frage in die Runde wer hat Lust nach Helsinki hinüberzufahren? Es meldet sich Anna die ich schon ein wenig kenne und wir verabreden uns.
Freitags lohnt es sich nicht ins Bettchen zu springen wenn man um zwei Uhr am Samstag den Bus nach Tallinn besteigt also schliefen wir nicht sondern fuhren einfach los. In Tallinn im Fährhafen wird ein kleiner Frühstückshappen zu sich genommen und der Morgensonnenaufgang bewundert. Auf Bänken im sich langsam füllenden Fährterminal gedöst und irgendwann das Eincheck-System verstanden, ganz knapp bevor es zu spät ist. Hinauf auf die Fähre und Musik auf die Ohren, raus aufs Deck. Ahoi! Wind von achtern mit der Sonne im Gesicht, was gibt es schöneres als das ewige Geschrei der Möwen. Die Fähre füllt sich langsam, im Kaufmannsladen gibt es keinen Riesenlolli aber dafür Kaffee im Bistro und von dem wird sich ein Schluck gegönnt bevor wir uns einen Platz im Casino sichern damit ich Anna beim Schlafen zuschauen kann, und das Wasser beobachten. Trotz der hypnotischen Bewegungen des Ostseewasserspiegels in meinen Augen finde ich den Weg nicht ins Land der Träume. Träume sind Schäume, obendrauf. Irgendwann laufen wir in den Helsinki-Heimathafen ein und tapern Biertrolley-Finnen hinterher zum Ausgang. Tere tulemast! Wir sind also da. Weder in unseren Köpfen noch in unseren Taschen befindet sich ein einziger Plan und wir tun das, was in unserer Situation wohl jeder täte: Wir schlendern über einen Markt am Hafen, ich besorge mir eine Mütze und wir stiefeln los. Zur Kathedrale und zum Hauptbahnhof, von dem aus wir uns in eine Straßenbahn setzen und einfach losfahren. Nach einem kurzen Aufenthalt in einem Supermarkt begeben wir us wieder zum Bahnhof, wo uns die Gunst der Spendierstunde etwas zu Essen besorgt. Während Fahrkartenlösungswartezeit genehmigen wir uns also einen Snack und beschließen, nach Turku zu reisen. Helsinki bietet uns keine adäquate Übernachtungsmöglichkeit. Probieren wir es eben ein Haus weiter. In Turku kann uns selbst die freundliche Bahninformationszentrumsangestellte nicht weiter helfen und wir tun, was wir sowieso schon können. Wir machen eine Stadtrundfahrt und nutzen die uns mit der Fahrkarte verkaufte Zeit optimal. Turkus Sehenswürdigkeiten werden mit Sehen gewürdigt, der Tag ist schön und auf dem Fluss schwimmen riesige Plastikmöwen deren Zweck und ästhetischer Anspruch uns irgendwie entwischt. Und wenn wir schonmal zu später Stunde in Turku sind, trinken wir ein Bier in einer Bar und werden angequatscht und auf einen Club verwiesen, den wir gar nicht besuchen. Es stellt sich heraus, dass wir auch in Turku wohl ohne Dach über dem Kopf auskommen müssen und wir fragen uns, was wir mit dem Rest der Nacht wohl anfangen können. Die zündende Idee kommt alsbald und wir gehen ins Kino. Es gibt lauter Filme auf Finnisch und nur einen Film auf Englisch. Der ist dafür aber in 3D damit man die fliegenden Körperteile und diversen fatalen Fleischwunden besser sehen kann. Dafür ist es warm und man kauft den Besuch in Herzhausen gleich mit. Doch irgendwann spuckt uns der Filmpalast wieder aus und jetzt? Ein Stadtbummel? Nein nein, ganz falsch. Hesburger sieht so einladend aus also stellen wir uns für den heiß geliebten Falafelburger und eine gepflegte Tasse Schwarztee an. Allerdings schließt auch der Schnellfraßladen irgendwann seine Türen also stiefeln wir durch die Nacht und spielen lustige Spiele mit Zebras. Einen guten Abschnitt Turkus samstagnächtlichen Charmes lassen wir auf dem Bahnsteig auf uns niedersinken. Anna schläft auf einer Bank, ich übe Tanzen Kniebeugen Musikhören und Frieren. Unsere traute Zweisamruhe wird nach gefühlten drei Wochen Nachtkälte von einem Betrunki unterbrochen der Anna aufweckt, welche in ihre Arme eingewickelt erstmal gegen den geparkten Zug torkelt während sie im Hier und Jetzt ankommt. Gemeinsam wach beschließen wir, uns Turku noch einmal genauer anzuschauen und entdecken 40Zonen, schaurigschummrige Sträßchen und Holzhausinnenhöfe. Und dann geht’s wieder los zurück nach Helsinki, wo einst geplant war den Tag zu versaunen. Stattdessen machen wir eine Schärenrundfahrt; ich lasse mir den Wind in die Ohren wehen mit meiner neuen Mütze und Anna sitzt unter Deck und friert ein wenig vor sich hin, döst und schaut fenstergefilterten Schärenseglern beim Kreuzen zu. Und dann gönnen wir uns ein paar Stunden Ruhe auf dem Rasen vor der russisch-orthodoxen Kirche, von dem aus wir dann direkt wieder auf die Fähre steigen die uns über die Ostsee zurück nach Tallinn schaukelt. In der Dance Lounge. Hurra. Und als wir im Wohnheimseingang stehen fragt mich Anna ganz unverblümt ob ich mit ihr nach Baku fahren möchte denn, kaputt wie unser kleiner Ausflug war, ihr hat er wunderherrlich gefallen. Ich fühlte mich gebartpinselt. Und ich sage dass ich, wenn's das gute Portemonnaie erlaubt, gern mitkomme und schließen einen mündlichen Vertrag mit Handschlag ab. Und als ich in meinem Zimmer herausfinde, was Baku ist, weiß ich auch nicht so genau wie ich darauf reagieren soll.
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